
Meine Eltern sind Physiker. Meine Mutter brachte mich im Altonaer Kinderkrankenhaus erster Klasse mit Chefarztbehandlung zur Welt. Ich wurde eine Zangengeburt, weil der Chefarzt darauf spezialisiert war. Der einzige Grund. Mein erstes Wort war Nein. Ich war als Kind und Jugendliche eher schüchtern.
Als ich 5 Jahre alt war, verbrachten wir ein Jahr in Chicago. Dort kam ich in den Kindergarten und danach in die Schule. Nach einem Vierteljahr konnte ich fließend Englisch, mit Chicagoer Akzent, sprechen. Vieles war damals für mich irritierend, auch ängstigend, v.a. mich nicht verständigen zu können. Als wir wieder in Deutschland waren, verlernte ich die Sprache schnell wieder. Als ich in die 2. Klasse kam, dachte ich mir, noch 12 Jahre in diesem Gefängnis. In der Schule war ich in den Naturwissenschaften am besten. Mein schlechtestes Fach, Englisch.
Weil ich mich für Ernährung interessierte, schlug mein Vater mir vor, doch Lebensmittelchemikerin zu werden. Mit 18 hatte ich ein Schlüsselerlebnis im Kino, als mir plötzlich klar wurde, dass ich Schauspielerin werden wollte. Gesehen zu werden, mit allem, was ich fühle und empfinde, das Gefühl, tatsächlich da zu sein, erschien mir wie eine Rettung. Ich war damals depressiv, litt unter dem Kontaktmangel in meiner Familie.
Ich empfand, dass das Schauspielen den Momenten eine Bedeutung gibt. Einen Sinn, den mein Leben sonst nicht hatte. So verfolgte ich diesen Plan, war auf einer privaten Musical-, später auf einer staatlichen Schauspielschule. Die Regelschule war immer leicht gewesen, jetzt bekam ich Ängste, nicht gut genug zu sein.
Meine Schauspielkarriere war eher steinig. Ich entdeckte, dass mir Film- und Fernsehrollen am meisten Spaß machten. Mit 37 Jahren spielte ich für 1 ½ Jahre in einer Serie mit. Ich wünschte mir allerdings, in Filmen zu spielen, die mir auch als Zuschauerin gefallen würden. Das gelang mir nicht. Nach der Serie machte ich eine Weiterbildung zur Tanztherapeutin, auch ein Wunschtraum. Ich hatte immer gerne getanzt, seit ich auf der Musical-Schule damit angefangen hatte. Ich wollte etwas machen, bei dem es nicht so sehr um Leistung ging. Ich begann mit Theatergruppen zu arbeiten und als Tanztherapeutin. Das Schauspielen verlor sich, was ich sehr, sehr bedauerte. Um Leistung ging es dann natürlich für mich doch auch wieder.
Ich hatte einige Beziehungen, mehr oder weniger schwierig, und 2 Katzen, später noch einen Kater. Die liebte ich alle drei sehr.
Mit 49 Jahren bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Ich machte eine Chemotherapie und bekam Bestrahlungen. Angst davor, dass der Krebs wieder kommen könnte, hatte ich eigentlich nicht. Ich wollte mein Leben verändern, mehr für mich selbst sorgen, mehr zur Ruhe kommen. Ich versuchte mich wieder aufzubauen und zu entgiften. Seitdem bin ich hochsensibel. Später arbeitete ich als Tanztherapeutin in einem Übergangsheim und in verschiedenen Kliniken auf psychosomatischen und psychiatrischen Stationen. Die Entscheidung, ob ich mich gegen Corona impfen lassen wollte, konnte ich nicht treffen, in Kliniken gab es eine Impfpflicht.
Als ich 58 Jahre alt war, 2021, starb mein Kater. Mit 59 Jahren wurde bei mir ein Analkanalkarzinom diagnostiziert. Die vorgeschlagene, alternativlose Radiochemotherapie lehnte ich ab. Ich hatte mir geschworen, nie wieder in meinem Leben Chemo zu machen. Da wollte ich lieber sterben. Ich empfand die zweimalige Krebserkrankung als eine Botschaft meiner Seele, dass es genug sei. So sehr hing ich nicht am Leben. Nachdem mir jedoch der Arzt schilderte, wie das Sterben sein würde, wählte ich schließlich doch wieder diesen Weg. Die Chemo war grauenvoll, die Bestrahlung Folter. Ich konnte die vorgegebene Anzahl nicht durchhalten. Manchmal schrie ich vor Schmerzen.
Das ist nun 2 Jahre her. Meine Verdauung ist immer noch nicht wieder normal, es ist nicht klar, ob sie es jemals wieder sein wird, der Krebs ist weg. Ich möchte eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Ich habe mich viel mit dem Sterben auseinander gesetzt, habe nun viele Ängste, mein Sinn ist mir abhanden gekommen. Ich mache eine Weiterbildung in Somatic Experiencing, einer Trauma-Körperpsychotherapie. Sie macht mich sensibel für meine eigenen Trauma Symptome. Seit der neuen Krebserkrankung möchte ich mehr Dinge machen, die mir einfach nur Spaß machen. Nun singe ich im Chor, habe bei einem Tanz-Performance Projekt mitgemacht, möchte im Tierheim helfen. Manchmal ist es ein Gefühl, als sei mein Leben zu Ende. Viele große Wünsche haben sich nicht erfüllt und werden sich nun auch nicht mehr erfüllen.